Ohne Verpflichtungen
„Ich bin nicht auf der Suche“
Kurz vor Weihnachten war Kathrin Scheidemann Single – aber überraschend kam das nicht. „Wir waren zehn Monate zusammen, aber es war klar, dass das nicht lang hält“, sagt die 28-Jährige: Am Anfang dachte sie, es könnte doch noch was werden, und wollte dem Ganzen eine Chance geben. Echte Liebe wurde aber nicht daraus, deshalb trennte sich das Paar. Eigentlich ist Scheidemann also erst seit sechs Monaten Single – „aber gefühlt schon zwei Jahre, weil es eben keine richtige Beziehung war“.
Die Sozialpädagogin erzählt offen von ihren Erfahrungen – und dem Schluss, den sie daraus zieht: „Ich bin absolut nicht auf der Suche und will im Moment nichts Festes – aber das sage ich natürlich nicht, wenn ich jemanden kennenlerne.“ Sich nicht binden zu wollen oder zu müssen ist heute kein Problem mehr. Der Mehrheit der unter 30-Jährigen ist das selbstbestimmte Leben wichtiger – und das macht sie auch nicht mehr zu Außenseitern: Weil sich so viele erst einmal treiben lassen, kann man potenzielle Partner viel unverbindlicher kennenlernen als früher.
„Er sollte vernünftige Schuhe haben“
Kennengelernt hat die junge Frau deshalb einige Männer: einen, der sich beim ersten Date gleich nach einem Vorstellungstermin bei ihrer Familie erkundigte. Einen, dem sie über Ebay ein Paar Schuhe verkaufte und in den sie sich schon im Treppenhaus verguckte. Einen anderen, den sie auf dem Schützenfest traf und sich mit ihm in der Bar Roof Garden verabredete. Dort sitzt sie auch jetzt, mit Schuhen im gleichen Knallorange wie die Stühle, enger Jeans und Sommersprossen. „Am Ende war es immer dasselbe: Es hat nicht gepasst“.
Was passieren muss, damit es funkt, weiß sie aber nicht genau. „Er sollte größer sein, das gleiche Bildungsniveau haben – und vernünftige Schuhe.“ Nach großen Männern mit Bildung und ohne Sandalen hält sie am liebsten in der Disco Ausschau. „Da steht man sich direkt gegenüber.“ Sie spricht Männer gern selbst an, achtet aber beim späteren Chatten genau darauf, nicht zu oft zu schreiben, um keinen aufdringlichen Eindruck zu machen. „Da bin ich ein bisschen spießig“, sagt sie augenzwinkernd.
„Männer kommen nicht in die Pötte“
Von Onlinedatingplattformen wie Friendscout oder Elitepartner hält Scheidemann nichts: „Darüber hab’ ich nicht mal nachgedacht, ich lerne ja auch so genug Männer kennen. Ich glaube, dass da nur die ganz Verzweifelten sind.“ Die Dating-App Tinder nutzt sie aber regelmäßig. Dort chattet sie mit Männern, hat aber noch nie einen von ihnen getroffen. „Entweder die Männer suchen nur One-Night-Stands oder kommen gar nicht in die Pötte.“
„Singlesein ist mein Markenzeichen“
Sie selbst sucht allerdings keins von beidem – was ihre Freunde oft nicht verstehen. Fast alle sind in einer festen Beziehung. „Dass ich Single bin, ist unter meinen Freunden deshalb mein Markenzeichen.“ Ihre Freunde geben ihr das Gefühl, anders zu sein. „Sie sagen: Jetzt werd mal ruhiger und feier weniger, aber das will ich nicht.“
Auf die Kinder ihrer Freunde passt die studierte Sozialpädagogin dafür umso lieber auf. „Ich habe zwei Patenkinder und bin ein echter Familienmensch.“ Einen Partner sucht sie deshalb aber noch lange nicht. „Nur wegen meiner Freunde denke ich jetzt nicht: Das muss ich auch unbedingt haben. Machen zu können, was ich will, finde ich im Moment einfach praktischer.“
Sie räumt aber auch ein, dass sich das ändern kann, wenn der Richtige kommt. Der aber scheint weit weg – ihre letzte lange Beziehung hielt sieben Jahre – bis ihre Liebe zur Freundschaft wurde. Gibt es jetzt nie Momente, in denen sie einen Partner vermisst? „In der Weihnachtszeit fehlte mir manchmal einer zum Umarmen“, antwortet sie nach viel Bedenkzeit. „Aber Stopp! Das hieße ja, dass ich nicht zum Singlesein stehen würde! Das ist aber nicht so. Ich bin sehr zufrieden.“
Hannovers Singles in Zahlen
Hannoveraner sind bei der nach eigenen Angaben größten Onlinebörse der Stadt Hannover-Singles angemeldet.
Monate – so lange dauert es, bis ein durchschnittlicher Single in Hannover einen neuen Partner findet.
%
der Singles in der Stadt finden allerdings völlig okay, keine bessere Hälfte an ihrer Seite zu haben.
Jahre alt sind die Liebesuchenden aus Hannover in den Onlinesinglebörsen durchschnittlich.

Zwischen Liebe und One-Night-Stands
„Onlinedating gaukelt Vielfalt vor“
Ein neuer Tag – ein neues Match bei Tinder. Seitdem sich Jan Schüßler vor einem Jahr bei der Dating-App angemeldet hat, bekommt er täglich ein Match, also einen Kontakt zu einer Frau, die ihn auch kennenlernen möchte. Das rasante Verfahren, bei dem man anhand nur eines Fotos mit einem Wisch auf dem Smartphone entscheiden kann, ob man mit jemandem chatten möchte, hat für den 37-Jährigen aber auch Nachteile: „Das Onlinedating gaukelt einem eine riesige Vielfalt vor. So entsteht ein Beliebigkeitschaos, bei dem man sich immer fragt: Kommt da noch jemand Besseres? Das bedeutet viel Unsicherheit“, bemängelt er.
Der Redakteur einer Computerzeitschrift ist seit zweieinhalb Jahren Single und hatte etwa 25 Dates mit Tinder-Bekanntschaften. In zwei oder drei der Frauen war er ein bisschen verschossen, aber mehr ist nie daraus geworden. „Damit es im echten Leben ein Match gibt, muss vieles zusammenkommen – und das passiert nur extrem selten“, sagt er und guckt ein bisschen resigniert.
„Tinder gibt mir Sicherheit“
Die meisten seiner Verabredungen hatte er im Treibhaus nahe des Lister Platzes. „Die wundern sich hier bestimmt schon, warum ich immer mit so vielen unterschiedlichen Frauen komme“, sagt er lachend und blickt ein wenig zweifelnd zu den Kellnerinnen. Schüßler, der mit seinem Karohemd und Jeans wie ein typischer Kumpeltyp aussieht, drückt sich gewählt aus und fällt mit seinem markanten, dunklen Lachen auf. Doch er beschreibt sich als schüchtern – deshalb findet er das Konzept von Tinder besonders gut. Denn bei konventionellen Singlebörsen, bei denen er auch schon angemeldet war, muss der Mann oft zuerst auf die Frauen zugehen und sie anschreiben. „Da verschicke ich massenhaft Nachrichten an Frauen, ohne zu wissen, ob die mich gut finden“, sagt er. Bei Tinder hingegen entsteht ein Match erst, wenn auch das Gegenüber zustimmt. „Das gibt mir Sicherheit“, erklärt er.
Hin-und hergerissen zwischen Liebe und One-Night-Stands
Im virtuellen Hahnenkampf hat er seiner Meinung nach aber einen Nachteil: „Viele Frauen wollen unbedingt einen größeren Mann. Ich bin 1,72 Meter groß – da merkt man bei Tinder, dass das für viele Frauen ein Ausschlusskriterium ist.“ Das bedeutet, dass er bei einigen Frauen von vornherein durchs Raster fällt. „Ich finde das ziemlich arrogant von den Frauen“, sagt er ärgerlich.
Flirten war für ihn auch lange gar nicht nötig – Schüßlers längste Beziehung hielt neun Jahre. Seine damalige Freundin lernte er da noch ganz traditionell über gemeinsame Freunde kennen. Das Ende kam, weil Liebe zu Freundschaft erkaltete. „Seitdem bin ich hin- und hergerissen.“ Hin zur Sehnsucht nach Liebe, Partnerschaft und Vertrautheit, her zur Freiheit als Single und gelegentlichen One-Night-Stands. „Einerseits will ich langfristig unbedingt was Festes und Kinder, andererseits will ich Single bleiben und meine Freiräume ausschöpfen“, sagt er.
„Ich glaube, dass ich erst mal niemanden finde“
Der 37-Jährige steht damit stellvertretend für die Generation Maybe, die Generation „Vielleicht“, deren Wünsche hoch individuell sind, sich aber wegen der Unübersichtlichkeit der Möglichkeiten auch nach althergebrachten Rollenbildern sehnt. „Ich möchte eine Frau, die emanzipiert ist, die sich aber auch mal zum Essen einladen lässt oder mich bei technischen Dingen gern um Hilfe bittet“, erklärt Schüßler. Aber auch in anderen Bereichen hat der Journalist genaue Partnervorstellungen. „Sie soll nicht rauchen, kleinlich, oberflächlich, unehrlich oder untreu sein. Und außerdem sollte sie einen schrägen, skurrilen Humor haben und intelligent sein“, sagt der 37-Jährige.
Das klingt nach hohen Ansprüchen? Stimmt. Und genau die machen das Verlieben für viele junge Menschen heute sehr schwer. „Deshalb freue ich mich über jedes nette Date. Ich glaube, dass ich erst mal niemanden finde – auch wenn das eine frustrierende Erfahrung ist“, sagt Schüßler und schaut auf sein Handy – auf der Suche nach dem nächsten Match.